02.01.2013

Bosnien: Ein Land der Extreme

Behindertenheim.jpgHaeuser.jpgMuetze.jpgTauernalm.jpgKarton-Saege.jpgKindaufKarton.jpgKinder-auspacken.jpgSchoko-essen.jpgSchokolade-teilen.jpgSozialamt.jpgLKW-Fahrt.jpg
Nachdem ich in Bosnien oftmals Probleme mit einer stabilen Internetverbindung hatte, kommt mein Abschlussbericht heute aus der Heimat Deutschland. Wir sind am 1.1.2013 gegen 14 Uhr in Landsberg Lech angekommen. Nochmals vielen Dank für die kurzen Stichpunkte von der Fahrt, geschrieben von unserem Konvoi-Leiter Chris. Er hatte mehr Glück mit seiner Technik und konnte mich dadurch unterstützen. Bosnien ist ein Land voller Extreme. Je nach Region findet man immer noch viele zerstörte Häuser am Straßenrand. Die meisten davon, auch die wieder bewohnten, sind von zahlreichen Einschusslöchern gekennzeichnet. Wenige Meter daneben, kann man meist in Stadtnähe, westlich geprägte Wohnhäuser vorfinden, die unseren Gebäuden in nichts nachstehen. Sogar die Industrie hat sich dort wieder angesiedelt. Bosnien hat eine schöne Natur. Es gibt dort Wälder, Palmen, Mandarinenbäume, Weinreben, Felsen und vieles mehr. Durch die vielen anderen Sorgen und der Armut, wird der Umweltschutz ganz hinten angestellt. Die Abwasserkanäle werden häufig zur Müllentsorgung genutzt. Die großen Flüsse sind links und rechts von Plastikflaschen und anderem schwimmenden Müll flankiert. Je nach Wasserstand hängen dort Folien zwischen den Bäumen. Uralte Schrottautos werden am Straßenrand stehen gelassen. Als Heizmaterial werden scheinbar alle brennbaren Materialien genutzt. Aus den Kaminen kommen Rauchwolken mit allen erdenklichen Farben. Ich musste zwangsläufig an meinen alten VW-Bus denken, der hier in Deutschland wegen seiner Abgaswerte keine Umweltplakette mehr bekommen hatte… Apropos Auto… Autofahren ist hier eine Sache für sich. Die Autobahnen sind in einem guten Zustand. Kommt man aber von den großen Straßen weg, sollte man sehr gute Stoßdämpfer haben und sehr aufmerksam sein. Schlaglöcher mit ungeahnten Tiefen können dort bestaunt werden. Vom Eselgespann bis hin zum Luxus-PKW muss mit allem gerechnet werden. Die Menschen in Bosnien sind sehr gastfreundlich. Uns wurde dort häufig Kaffee, Wein und selber gebrannter Schnaps angeboten. Zum Essen gab es meist eine Grillplatte mit gemischten Fleischsorten und Kartoffeln. Unsere LKW´s wurden am 30.12. alle zu unterschiedlichen Fahrten eingeteilt. Unser Team hatte eine Abladestation in einem Sozialamt. Die armen Leute wurden zuvor vom Amt angeschrieben und dort hinbestellt. Die Pakete mussten aber vor der Verteilung in den ersten Stock getragen werden. Es halfen uns einige Leute beim Entladen. Doch ein junger Mann ist uns besonders aufgefallen. Er rannte scheinbar unermüdlich mit den Paketen die Treppen rauf. Irgendwann waren wir dann fertig und der Mann stand verschwitzt und mit laufender Nase da. Draußen war es kalt und sehr zugig. Unser LKW-Fahrer Andi hatte ihm als Dank eine Mütze und ein paar Handschuhe geschenkt. Die Freude darüber war sehr groß. Unser Team wurde vor der Paketübergabe noch zum Kaffeetrinken von der Sozialamtsleiterin eingeladen. Hinter einer Glastür standen die bedürftigen Menschen und warteten geduldig auf die Pakete, die bei uns im Raum gelagert waren. Sie schauten uns beim Kaffeetrinken zu. Jeder von uns hätte lieber sofort die Pakete verteilt; aber dies war von offizieller Seite nicht gewünscht. Also wurde dann im Eiltempo der Kaffee vor den Leuten getrunken und die Verteilung herbeigesehnt. Als es dann endlich losging, stürmten die Menschen beinahe den Raum. Viele hatten sich schon zuvor beim Warten ein Paket rausgesucht und zeigten mit den Fingern drauf. Die meisten bedankten sich sehr freundlich und vielen konnte man die Armut ansehen. Nicht jeder konnte sein Paket an diesem Tag abholen. Am Sonntag fahren nicht alle Busse und viele kommen deshalb erst am Montag ins Sozialamt. Wir besuchten ebenfalls ein Förderzentrum für behinderte Kinder. Die Familien sind extra für uns gekommen und es fand parallel dazu eine Zeugnisübergabe statt. Die Behinderten haben sogar eine kleine Vorführung für uns vorbereitet. Ein Junge sang und tanzte voller Freude zu einem bosnischen Fußballlied. Die Eltern nehmen häufig eine Fahrtzeit von bis zu 2 Stunden auf sich um Ihr Kind in Therapie zu bringen. Für unsere Verhältnisse unvorstellbar. Auch dort konnten wir unsere Pakete verteilen. Es kam eine große Welle der Dankbarkeit herüber. Die Menschen waren teilweise richtig gerührt von unserem Besuch. Wir wurden von Georg unserer Kontaktperson für die Umgebung Zenica begleitet. So hatten wir immer einen Dolmetscher dabei. Er kümmerte sich in Zenica um die komplette Koordinierung der Pakete. Er stellte auch die Kontakte zu den Ämtern her und leistete tolle Arbeit. Mit einem guten Gefühl machten wir uns zu sechst auf den Weg nach Kovaci. Dort durften wir einen Hausbesuch bei einer Familie mit drei Kindern machen. Zwei Mitarbeiterinnen aus dem Förderzentrum haben uns dabei begleitet. Eine davon sprach fließend Deutsch und konnte uns dolmetschen. Angekommen an Zielort trugen wir unsere Pakete einen unbefestigten Feldweg ca. 200 Meter hinauf. Wir wurden von den Kindern schon erwartet. Vorfreude stand in den Gesichtern. Die Schuhe wurden ausgezogen und wir wurden ins Haus gebeten und nahmen auf dem Sofa Platz. Der Vater hatte einen Betriebsunfall und kann nicht mehr arbeiten. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Holz sammeln. Im Haus wird nur ein Zimmer beheizt. Die Küche ist mit dem Wohnzimmer kombiniert. Das WC befindet sich im Garten in Form einer Hütte. Der Familienvater ist sehr stolz auf seinen Garten. Dort hat er auch selber ein Gewächshaus aus alten Fenstern errichtet. Die Kinder waren schon ganz aufgeregt, wir wollten wir sie nicht länger warten lassen. Alle Pakete dort kamen von unseren Familien oder Bekannten. Jedes der drei Kinder bekam ein Paket. Mit großen Augen wurden die Pakete geöffnet. Man sah ganz deutlich die Freude bei den Kindern und auch bei den Eltern. Zammy, der mittelalte Junge wurde ganz zappelig beim Anblick der Schokoladentafel. Vor lauter Aufregung bekam er die Verpackung nicht auf. Ich hab ihn dann die Tafel geöffnet. Was wir dann sehen durften war sehr ergreifend. Trotz der sichtbaren Vorfreude und Gier nahm er die Schokolade und brach voller Selbstverständlichkeit drei große Stücke von ab und teilte sie mit seinen Brüdern Enis und Jannis. Erst dann genehmigte er sich voller Genuss sein eigenes Stück Schokolade. Es war eine Freude dem Jungen dabei zu beobachten. Ich hatte bei dieser Familie mein persönliches Erlebnis. Wir hatten einen Karton mit Eisbären an Bord. Nachdem die Familie unsere letzte Station war, konnten die Kids nun 10 Plüscheisbaren ihr Eigen nennen. Der Jüngste schleppte alle Tiere in das Schlafzimmer und reihte sie fein säuberlich auf die dortige Schlafcouch auf. Davon wollte ich ein Foto machen und fragte die Eltern ob ich in das Zimmer eintreten darf. Als ich ein schönes Foto hatte, drehte ich mich um und wollte wieder das Zimmer verlassen. Doch dann fiel mir ein Motorsägen-Karton auf einem Stapel auf. Auf dem Karton war noch ein alter Adressaufkleber mit Verkaufsdatum aus dem Jahr 2009 und mir stockte der Atem. Auf diesem Kleber stand der Namen meines Vaters bzw. von seinem Geschäft. Unsere Kunden bekommen nie die Ware im Karton ausgehändigt und schlagartig wurde mir klar, dass dieser Karton von meiner eigenen Jugendfeuerwehr stammt und ich ihn damals selber gepackt hatte. Völlig perplex lies ich mir von der Dolmetscherin die Herkunft des Kartons erklären. Der Familienvater erzählte er habe damals den Karton in der Sozialstation abgeholt. Das Bild der Motorsäge habe ihm aufmerksam gemacht und er hoffte damals auch insgeheim auf dessen Inhalt. Mit einer Säge könnte er Geld mit Holzverkauf verdienen und weiter an seinem Haus bauen. Quasi sah er darin eine Zukunft. Seine Frau rollte während dem Gespräch mit den Augen und meinte, sie dürfe den alten Karton immer noch nicht wegwerfen, weil er ihrem Mann so viel bedeutet. Hätte ich das alles vorher gewusst, dann wäre es mir eine Freude gewesen, ihm eine gebrauchte Motorsäge zu schenken. Ich habe unsere Dolmetscherin danach gefragt, ob ich die Säge schicken kann. Sie schüttelte den Kopf und meinte der Karton würde zuvor abgefangen und wäre weg. Diese Geschichte werde ich nicht mehr vergessen. Dies war auch für mich ein Beweis, dass die früheren Pakete bei den Bedürftigen angekommen sind. Ich werde aber an der „Mission Motorsäge“ dranbleiben… Die Mutter kochte uns noch einen Kaffee auf einem Ofen vor der Türe. Der Besuch bei dieser Familie war bei vielen der Höhepunkt einer langen und anstrengenden Fahrt. Dies hatte uns allen die Bestätigung gebracht, das unsere Hilfe gewünscht und vor allem immer noch von Nöten ist. Auf der Rückfahrt nach Zenica mussten wir an einer roten Ampel anhalten. Ein kleines Mädchen mit zerzausten langen braunen Haaren wischte mit ihrem Ärmel über unsere verdreckten Scheinwerfer und schaute uns erwartungsvoll an. Auf unserem Armaturenbrett hatten wir seit Tagen ein Stofftier platziert. Wir nannten es „Glücksschwein Freddy“ das zuvor beim Umladen aus einem aufgeplatzten Karton gefallen war. Mein Freund Ben meinte, wir sollten ihr das Stofftier schenken. Das Mädchen hatte wohl Freddy beim Putzen schon im Augenwinkel. Ich fragte, ob sie das Schweinchen haben will und hob ihr es hin. Völlig verdutzt nahm sie es dankend an sich und lief wie ferngesteuert von uns weg. Ohne den Blick von Freddy zu nehmen überquerte sie lächelnd die vierspurige Straße ohne nach dem Verkehr zu schauen. Sie kam zum Glück heil auf der anderen Straßenseite an. Glücksschwein Freddy hat seinen Zweck erfüllt und ist nun in guten Händen. Am 31.12.2012 machten wir uns um 6.00 Uhr auf den Heimweg. Es war klar, dass wir es nicht mehr bis Silvester nach Hause schaffen würden und so steuerten wir die Raststätte „Tauernalm“ in Österreich an. Mit Karin hatten wir eine nette Bedienung, die extra länger für uns blieb. Später feierten wir in einer unvergesslichen Atmosphäre mitten in den Bergen auf dem Parkplatz, in Gedanken bei Familie und Freunden, in das Jahr 2013 rein. Dem Tankstellenpersonal statteten wir auch noch einen Besuch ab. In dieser besonderen Nacht waren wir alle eine große Familie. Wir haben rund 2500 km in einer Woche zurückgelegt. Es konnten sehr viele Eindrücke von Land und Leute gesammelt werden. Unser zehnköpfiges Team hatte einen starken Zusammenhalt und Menschen, die sich sonst niemals im Leben getroffen hätten, sind auf dieser Tour gute Freunde geworden. Jeder von uns konnte etwas in die Gruppe einbringen und hatte, wie unser Fahrer Holzmichl so schön sagte, sein „Zuckerle“. Wir haben viel zusammen gelacht und auch die ein oder andere Träne miteinander verdrückt bzw. unterdrückt. Ich bin glücklich und dankbar diese Jungs kennengelernt zu haben. Sogar ihre Trucks durfte ich auf der Heimfahrt ausprobieren. Die augenzwinkernde Frage, ob nun Mercedes ohne MAN besser zum Fahren sei, konnte und wollte ich als Laie nicht beantworten. Aus geplanten 30 Minuten LKW-Fahrzeit wurden jeweils 1,5 Stunden und die Zeit verging wie im Fluge. Es war ein tolles Erlebnis, das mir ebenfalls lange in Erinnerung bleiben wird. Vielen Dank an alle Unterstützer dieser Hilfsaktion. Ich wünsche allen Lesern ein erfolgreiches Jahr 2013. Weitere Bilder auf Facebook unter Jugendfeuerwehr Landkreis Neu-Ulm
Artikel von: Karoline Nägele
Feuerwehren
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