06.08.2006

Senden: Bedrückendes von der Seele reden

Bedrückendes von der Seele reden Warum Irmgard Rogg Kameraden von der Freiwilligen Feuerwehr nach belastenden Einsätzen betreut Von unserem Redakteur Wolfgang Kahler Senden/Illertissen Folgenschwerer Unfall auf der B 28: Ein Fußgänger wurde von Autos erfasst, die Leiche bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Augenzeugen und Rettungskräfte stehen in solchen Situationen vor den Grenzen psychischer und physischer Belastung. Solche Erlebnisse können wochen-, ja monatelange traumatische Folgen haben. Irmgard Rogg kümmert sich noch vor Ort um Betroffene. Die 48-jährige Feuerwehr-Frau hat eine Spezialausbildung, damit sich Kameraden aber auch anderen Menschen den Druck von der Seele reden können. "Manchmal muss man aber auch nur schweigen können", sagt die gelernte OP-Schwester und Ehefrau des Sendener Feuerwehr-Kommandanten Helmut Rogg. Die 48-Jährige ist ein Peer (dazu Wortweiser), die Feuerwehrleuten bei und nach extrem belastenden Einsätzen zur Seite steht. Seit 2005 werden Peers im Landkreis eingesetzt. Sie müssen bei der Landesfeuerwehrschule in München-Geretsried einen Speziallehrgang absolvieren. Fachleute verschiedener Organisationen wie Rotes Kreuz, Notfallpsychologen der Bundeswehr und der Polizei sowie ein Notfallseelsorger vermitteln den Peers, was im Ernstfall auf sie zukommen kann. "Ein Schlüsselerlebnis für mich war der Bankeinbruch in Ay", erzählt Irmgard Rogg. Vor knapp zehn Jahren hatte ein Schwerverbrecher sich nach einem Einbruch in eine Bankfiliale in Senden-Ay mit einer Handgranate in die Luft gesprengt und einen Polizisten lebensgefährlich verletzt. "Nach dem Einsatz kamen Feuerwehrleute zur mir in die Küche des Feuerwehrhauses und erzählten, was passiert ist. Irmgard Rogg versorgte damals die Kräfte mit Kaffee und Brotzeit. Obwohl die Kameraden nicht mal ganz nahe am Geschehen waren, hatten die schlimmen Ereignisse doch erhebliche Auswirkungen. Als dann Jahre später der erste Lehrgang für die "Helfer bei Belastungsbewältigung" - wie es im Amtsdeutsch heißt - angeboten wurde, nahm Irmgard Rogg die Herausforderung an. Sie hatte sich schon während ihrer Tätigkeit als OP-Schwester in den Nachtstunden häufiger mit Angehörigen von Patienten unterhalten, und erkannt, dass es auf dem Gebiet der Betreuung Defizite gab. Mittlerweile konnte die ehrenamtliche Feuerwehrfrau schon mehrfach ihre Schulungskenntnisse in die Praxis umsetzen. Nach dem schweren Unfall mit einem toten Fußgänger auf der B 28 erlebte sie eine junge Beifahrerin. "Die Frau hatte einen Wutanfall", erinnert sich Irmgard Rogg, nachdem klar war, dass ihr Auto den Toten überrollt hatte. Aber auch diese ungewöhnliche Reaktion kann in der Stresssituation helfen, so die 47-Jährige. Als am Roggenburger Weiher ein angetrunkener junger Mann mit dem Auto verunglückte, war die Sendenerin zur Stelle und betreute den verletzten Fahrer. "Er wollte nur immer wissen, was mit seinem Freund passiert ist". Sie habe ihm nur sagen können, dass sich die Retter um ihn kümmern, aber nicht, dass der Mitfahrer ums Leben gekommen war. Wichtig ist in den meisten Fällen, so Irmgard Rogg, die Leute reden zu lassen. Das gilt auch für die Feuerwehr-Kräfte. Viele sind während eines Einsatzes derart im Stress, dass sie gar nicht über die Geschehnisse vor Ort nachdenken, beispielsweise wenn Tote aus einem Auto geholt oder schwerverletzte Kinder geborgen werden müssen. Aber solche Bilder können noch tage-, wochen-, manchmal sogar monatelang nachwirken. "Es ist wichtig, dass wir auch für die eigenen Leute etwas tun", unterstreicht Kreisbrandrat Alfred Raible (Illertissen) die Notwendigkeit der Peers-Fachkräfte. Entscheidend sei immer eine Nachbesprechung der Ereignisse nach einem schweren Einsatz. Mittlerweile wurden im Kreis Neu-Ulm als Pilot-Projekt sechs Feuerwehr-Leute - in Senden, Pfaffenhofen und Weißenhorn - ausgebildet, "Ziel ist aber eine Kraft in jeder Wehr", so Raible. Damit sich die Leute die Belastungen von der Seele reden können und daran nicht kaputt gehen, meint Raible. Bei dem ersten Lehrgang für Irmgard Rogg wird es nicht bleiben: Demnächst ist eine Fortbildung für die Peer-Kräfte angesagt.
Mit freundlicher Genehmigung der
Neu-Ulmer Zeitung
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