03.07.2012

„So etwas habe ich noch nie erlebt“ Helfer gelangen an ihre Grenzen

„So etwas habe ich noch nie erlebt“ Helfer gelangen an ihre Grenzen – Landratsamt warnt vor Betreten des Waldes Nach dem schweren Unwetter vom Wochenende sind in der Region noch nicht alle Straßen befahrbar. Der Einsatz brachte die Rettungskräfte an die Grenzen. Die Feuerwehr zieht aus dieser Erfahrung ihre Lehren. Region. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt Georg Fuhrmann. Er saß in der Nacht zum Sonntag im Feuerwehr-Kommandowagen, als neben ihm ein Blitz in die Hochspannungsleitung zwischen Pappelau und Beiningen einschlug. Gewaltige Funken, ein lauter Knall. „Da habe ich Respekt bekommen“, sagt Fuhrmann, der als Einsatzleiter der Blaubeurer Feuerwehr unterwegs war. Während nach diesem Blitzschlag keine Schäden zu sehen waren, hatte ein anderer kurz zuvor in der Nähe der Waldschenke in Sotzenhausen, einem abgelegenen Weiler zwischen Blaubeuren und Schelklingen, in einen Baum eingeschlagen. Dieser stürzte auf eine Stromleitung und beschädigte vier Autos. 50 Leute, die in der Gaststube einen Geburtstag feierten, saßen im Dunkeln. Wegfahren konnten sie nicht, denn die durch den Wald führende Straße zur Bundesstraße war von umgestürzten Bäumen blockiert. Die Feuerwehr machte den Weg frei und stellte gemeinsam mit der ENBW die Stromversorgung wieder her. Nach drei Stunden bei Kerzenschein machten sich die Gäste auf den Heimweg. „So hell und so heiß, wie man es sich nicht vorstellen kann“, erlebte Stefan Pistel, Feuerwehrkommandant in Dietenheim, eine Situation in der Unwetter-Nacht. Zwischen Dietenheim und Regglisweiler lagen Überlandleitungen auf der Erde – noch unter Strom. Ein permanenter Lichtbogen, Feuer, Flammen. Obwohl es heftig regnete, brannten der Wald und ein Getreidefeld. Die Feuerwehr hielt 50 Meter Abstand und löschte die Flammen. Höchst vorsichtig, um mit dem Wasserstrahl nicht den Lichtbogen zu berühren. Zur ENBW kam die Feuerwehr nicht durch. Eine Stunde lang hielt die brenzlige Situation an, erst dann schaltete der Stromversorger die Leitung ab. Die Monteure könnten nicht überall gleichzeitig sein, begründet Margit Alt, Sprecherin der ENBW, die Verzögerung. Im südlichen Alb-Donau-Kreis und im nördlichen Kreis Biberach habe es drei Störungen an Freileitungen und 60 Störungen in Niederspannungs-Ortsnetzen gegeben. Zwischen Achstetten und Stetten seien gar sieben Masten umgeknickt. Die Monteure müssten in solchen Fällen in Umspannwerken Leitungen umschalten – und auch sie hatten Schwierigkeiten, dorthin zu gelangen. Ausgebremst wurden das„Greencore-Festival“ in Westerheim. Am Sonntagmorgen wurde die Veranstaltung endgültig abgebrochen. Am Samstagabend tobte das Unwetter so stark, dass Sicherheitszäune umfielen. „Man hat gesehen, dass sich was zusammenbraut, dann ging es innerhalb von ein paar Minuten richtig los“, erzählt eine 21-jährige Besucherin. Die Festivalgäste mussten ihre Zelte festhalten, damit sie nicht wegflogen. Sie fand im Auto Unterschlupf. Eine andere Unterkunft hatte sie auch nicht mehr: Im Sturm waren die Fiberglasstangen ihres Zeltes gebrochen. Das Gewitter, das mit heftigen Böen daher kam, hat manche Straßen besonders stark getroffen. So wird die Landesstraße 1232 zwischen Langenau und Riedheim nach Einschätzung des Landratsamts Alb-Donau noch rund zwei Wochen lang gesperrt bleiben. Von den 200 bis 300 Bäumen der 4,5 Kilometer langen Allee wurden etwa 30 umgeworfen oder stark beschädigt. Mitarbeiter der Straßenmeisterei Langenau waren gestern mit Motorsägen und einem Hubsteiger im Einsatz. Problematisch ist jedoch nicht das Aufräumen der Äste und Stämme, sondern das Reparieren der Straße. Wurzelteller rissen den Asphaltbelag auf. Wie Edwin Weber, Leiter der Straßenmeisterei, berichtet, klaffen Löcher von bis zu einem Meter Tiefe. Ähnlich die Situation auf der Kreisstraße 7306 zwischen Rammingen-Bahnhof und Asselfingen, die weiterhin gesperrt ist. Die Landesstraße 240 zwischen Erbach und Donaustetten wurde gestern Abend wieder freigegeben. „Es gibt viel zu tun“, sagt Wolfgang Brandner. Er ist Kolonnenführer bei der Straßenmeisterei Krumbach/ Neu-Ulm, die für die Straßen zwischen Nersingen, Vöhringen und Weißenhorn zuständig ist. Um sieben Uhr am Montagmorgen haben die Aufräumarbeiten begonnen, sie werden voraussichtlich noch bis zum Ende der Woche andauern. Sechs Mann hat die Straßenmeisterei im Einsatz. Jetzt gilt es, mit Hubarbeitsbühnen angebrochene Äste aus den Baumkronen entlang der Straßen zu entfernen und in Mitleidenschaft gezogene Bäume zu fällen. In der Nacht haben Feuerwehren entwurzelte Bäume von der Straße an den Rand befördert, die müssen nun abtransportiert werden. Viel Arbeit also, das Schlimmste sei jedoch überstanden. Am Montag waren die Straßen im Landkreis Neu-Ulm befahrbar, die Sperrungen aufgehoben. Der Verkehr im Kreis Neu-Ulm rollt, sagte Polizeisprecher Thorsten Ritter vom Polizeipräsidium in Kempten auf Anfrage. Nun sei es an den Bauhöfen und Straßenmeistereien, die Sturmschäden zu beseitigen. Durchatmen können die Feuerwehrleute im Landkreis Neu-Ulm, sie waren zu rund 400 Einsätzen ausgerückt, teilt Wilhelm Schmid mit, Sprecher der Kreisbrandinspektion. Während des Unwetters seien „so gut wie alle Feuerwehrleute“ im Einsatz gewesen. Genaue Zahlen gebe es noch nicht, insgesamt zählten die Feuerwehren im Landkreis Neu-Ulm etwa 3000 Mitglieder. Viel zu tun hatten auch die Techniker der Deutschen Bahn. Bäume rissen Oberleitungen herunter, etwa bei Unterfahlheim, sagte Bahnsprecher Martin Schmolke. Der Zugverkehr zwischen Ulm und München konnte erst am Sonntagmittag wieder freigegeben werden. 150 Notrufe unter 112 gingen am Samstagabend innerhalb einer Stunde bei der Rettungsleitstelle Ulm ein, dazu kamen etliche weitere Anrufe bei Polizei und Feuerwehr über das Festnetz. Als klar war, dass sich ein gewaltiges Unwetter zusammenbraut, habe die Rettungsleitstelle ihr Personal um das Fünffache verstärkt, sagt Kreisbrandmeister Harald Bloching. 15 so genannte Disponenten waren unter Hochdruck im Einsatz, um die Anrufe zu bearbeiten und weiterzuleiten. Unter anderem an speziell ausgebildete Führungsgruppen und Zugführer der Feuerwehren, die vor Ort die Einsätze koordinierten. Alle Alarmierungsplätze der Leitstelle und die Notalarmierungsplätze waren belegt. „Wir sind an unsere Grenzen gekommen, aber wir haben es geschafft“, sagt Bloching. Es hätten unglaublich viele Einsätze in ganz kurzer Zeit bewältigt werden müssen. Rund 180 Mal rückten hunderte Helfer im Alb-Donau-Kreis aus. „Mehr hätte nicht passieren dürfen“, meint der Kreisbrandmeister, der von einer „Großschadenslage“ spricht. Letztmals habe es vor acht Jahren ein Unwetter dieses Ausmaßes in der Region gegeben. „Die Abstände werden immer kürzer“, sagt Bloching. Das Unwetter am Samstag ist eingestuft in die Kategorie C – das sei vergleichbar dem Einsatz der Rettungskräfte beim Orkan „Lothar“ im Dezember 1999. Aus den Erfahrungen vom Wochenende will die Feuerwehr Lehren ziehen und sich noch besser für Ereignisse dieser Art rüsten: „Wir machen uns auf Führungsebene darüber Gedanken.“ Wie schlimm die Schäden in der Landwirtschaft sind, lässt sich noch nicht abschätzen. „Teile des Getreidebestands sind umgeknickt, ob es sich wieder aufrichtet und erholt, kann man erst in etwa drei Wochen sagen“, sagt Hans Götz, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Ulm-Ehingen. Zum ersten Mal sei in der Region auch Mais umgefallen. „Wie sich der nun entwickelt, kann ich gar nicht abschätzen.“ Über eines ist Götz froh: „Gottseidank gab’s keinen Hagel.“ Alle Gefahr ist noch nicht vorüber: Der Fachdienst Forst, Naturschutz des Landratsamts Alb-Donau warnt davor, in den Wald zu gehen. Nach dem Unwetter drohe Gefahr durch umgestürzte und instabile Bäume sowie lose Äste. Die Schäden im Wald sind erheblich: Nach ersten Schätzungen fielen zwischen 8000 und 10 000 Festmeter Sturmholz an. Besonders betroffen sind Wälder im Bereich Ehingen, Ringingen, Langenau und entlang des Donau- und Illertals – diese sollten vorerst gemieden werden.
Mit freundlicher Genehmigung der
Südwest-Presse
Feuerwehren
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